Küchenfensterblick
Dienstag, 1. April 2008
Tagediebe
Am hellsten aller Tage verband sich das Meer mit dem Horizont. Wir hatten Tränen in den Augen, um uns vor der Sonne zu schützen. Hand in Hand liefen wir zu der Stelle, wo sich die Wellen dem Strand ergeben und ergaben auch uns.

Am stillsten aller Tage war ich voll von Deiner Stimme und verschloß meine Ohren vor der Welt. Wir sprachen ohne zu reden und lauschtem den Worten zwischen den Zeilen.

Am längsten aller Tage war kein Warten mehr. Die Zeit verging ohne Hast und wir schlenderten voller Geduld durch die Stunden.


Es ist grad so still hier, nur ein wenig Musik im Hintergrund. Die Familie ist in der Ferne und hier war schon so lange keine Poesie mehr. Wohl weil es mir gut geht und ich obendrein kaum Zeit habe, mal abzuwarten, was da unter den Oberflächen los ist.

Und dann sei an dieser Stelle noch die Musik von Arvo Pärt empfohlen und auf das Buch "Der Weltensammler" hingewiesen.

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Montag, 17. September 2007
Fluchten
Er hatte nach der Scheidung eine kleine Kneipe am Strand aufgemacht.

Ihm war alles zuviel damals. Die Streitereien mit dem Chef, das Genöle der Kunden, die Frau, die immer nur die Hand aufhielt. Er hatte sich verloren in diesem Kreislauf aus Schuldzuweisungen und Forderungen. Er war erleichtert gewesen als sie mit dem Trainer vom Fitnesscenter etwas Eigenes aufbauen wollte - mit seinem Geld. Er hatte die Abfindung der Firma gerne angenommen, als sie ihm den Aufhebungsvertrag hinlegten. Er hatte seine Konten aufgelöst und die Wohnung, einen Koffer mit dem nötigsten gepackt und einen Flug in den Süden gebucht.

Dann fing er an zu rechnen. Mit dem was seine Ex im gelassen hatte, ein paar Stammkunden und den Besuchern im Sommer, sollte er für die nächsten zehn Jahre hinkommen. Ohne Telefon, ohne Fernseher, ohne Business-Anzüge und teure Schuhe. Ab und an Fisch vom Grill und ein Theaterbesuch in der großen Stadt. Seine Freunde aus der alten Zeit würden ihn besuchen kommen und ihm zu dem Strahlen in seinen Augen gratulieren und davon reden, dass sie auch bald soweit wären. Seine Haut würde nach Meer und Sonne riechen, nicht nach Angstschweiß und Deoresten. Es würde eine kleine Bibliothek geben in seiner Bar. Gäste könnten ausgelesenes dalassen und anderes ausleihen. Ein Miteinander mit ihm als Zentrum.

Nach dem Sommer kam die Einsamkeit.
Im Winter fing er an zu trinken.

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Donnerstag, 22. Februar 2007
In der Stadt
Es muss schnell gehen. Sehr schnell. Sie sind hinter uns. Und sie sind hinter uns her.
Wir taumeln durch die Strassen der Stadt die uns noch fremd ist. Der Pulsschlag in unseren Ohren übertönt den Verkehr. Wir müssen schreien, um uns zu hören. Wir müssen schreien, um nicht unterzugehen.
Die nächste Ecke. Ein kleiner Laden. Darin Bücher und Zeitungen aus vergangenen Tagen.
Der Staub brennt in unseren Augen, die Stadt brennt in unseren Lungen und wir fallen uns in die Arme.
Hier werden sie uns nicht finden.
Hier sind wir sicher. Hier sind wir weit genug weg von der Enge der Provinz.
Wir hatten die Dörfer aus denen wir kamen überstürzt verlassen. Ihre erdrückende Ruhe und Behaglichkeit.
Wir waren geflohen. Jetzt sind wir angekommen und wissen nicht wohin.

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Dienstag, 2. Januar 2007
Was den Tag zusammenhält
Morgens ging er aus dem Haus wie all die anderen. Setzte sich in die U-Bahn. Fuhr rein in die Innenstadt und stieg dann irgendwo aus. Es wechselte. Schön fand er es am Baumwall, denn hier konnte er so einfach den Eindruck erwecken, dazu zu gehören. Meist ging er einen Kaffee trinken und setzte sich dann irgendwo mit seinem Block hin und begann zu schreiben. Es waren Zeilen voller Sehnsucht, die von Träumen erzählten. Von Vorfällen aus längst vergangenen Zeiten. Von Frauen, von Abenteuern.
Wenn sich der erste Strom Angestellter zur Mittagszeit in die umliegenden Bars ergoß, mischte er sich darunter. Belauschte ihre Gespräche. Sog ihre Geschichten auf und machte sich so seine Gedanken. Ein paar Mal war es vorgekommen, dass er sich eingemischt hatte. Plötzlich saß er dann bei ihnen und nahm teil. Mit der Zeit bemühte er sich, solche Ausbrüche zu vermeiden.
Nach der Mittagspause dann schlenderte er zum Fluss und bestellte sein erstes Bier in der kleinen Kneipe vor der Brücke. Wenn er dann gegen acht auf Pegel war, zog er die Zettel aus der Tasche und ging damit hinaus.
Jeden Abend stand er auf der Mitte der Brücke.
Eine Hand am Geländer, mit der anderen die Zettel im Griff blickte er hinunter in den Abgrund und fragte sich, welche Hand er öffnen sollte.

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Montag, 30. Oktober 2006
Sehr lieb
Sie spuckte sich fast den Kaffee auf ihr Nachthemd. Was hatte dieser Trottel sich nur gedacht?
Sie hatte den weißen Schemen auf der Hecke schon beim ersten Blick aus dem Fenster gesehen. Aber ohne Brille hatte sie nicht erkennen können, was da auf der anderen Strassenseite gegenüber ihres Fensters los war. Also hatte sie den Kaffee aufgesetzt und ihre Brille gesucht. Als sie sie endlich aufhatte, war der Kaffee erstmal wichtiger. Dann hatte das weiße Bettlaken gegenüber wieder ihre Aufmerksamkeit erhascht.
"KATHi, iCH HAb DiCH SO LiEb" stand da in krakeliger Schrift und seltsamer Groß-/Kleinschreibung.
Das war süß, das war typisch er und das war ein riesen Problem. Denn jeden Moment würde ihr Mann von Montage zurückkommen und dieser Trottel der sie da so lieb hatte, wußte überhaupt nicht, worauf er sich eingelassen hatte.
Sie merkte, wie ihre Hand zu zittern begann. Als sich der Schlüssel im Schloß drehte ließ sie die Tasse fallen und fing leise an zu weinen.

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Dienstag, 12. September 2006
Am Ende der Zeit
Keiner von uns wusste, wie er hierhergekommen war. Eine Holzhütte irgendwo in der Nähe der Berge, soweit man das durch die Ritzen zwischen den Brettern sehen konnte. Durch die Oberlichter fiel für kurze Zeit schwaches Licht auf unsere vier Pritschen. Alle paar Stunden bekamen wir Essen und Trinken durch eine kleine Luke geschoben. Es kam uns nicht wie ein Gefängnis vor. Eher wie eine Versuchsanordnung. Aaron jedenfalls fühlte sich pudelwohl. Es hatte lange gedauert bis wir ihn verstanden. Er war der letzte gewesen, der plötzlich aufgetaucht war und wie erwartet war er aus der am längsten zurückliegenden Epoche. 1667, das war das Jahr aus dem sie ihn geholt hatten. Eric war den Wirren der französischen Revolution entkommen und wie Aaron war er dankbar für das klare, leicht süßliche Wasser und das warme Essen. John schwärmte uns jeden Abend von seinem Landsitz im Hampshire vor und so langsam konnten die anderen beiden und ich seine blasierte Art und das ewige Genörgel nicht mehr hören. Wir waren zu viert, jeweils ein knappes Jahrhundert lag zwischen uns und irgendjemand schien gefallen daran zu finden, uns in dieser Hütte gefangen zu halten.

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Montag, 8. Mai 2006
Kreuzworträtsel
In der Zeit zwischen Frühstück und Mittagessen löste er Kreuzworträtsel. Seit zwei Jahren ging das nun schon so. Jeden Tag. Kurz nach dem Umzug ins Altersheim hatte er damit angefangen. Mit dem letzten Schluck dünnen Kaffees nahm er seine Zeitung und das dicke Rätselbuch und setzte sich an den Tisch am Eckfenster. Das Buch hatte sein Enkel ihm besorgt und sein mitleidiger Blick war dem alten Mann nicht entgangen.
Er hatte schnell gemerkt, dass ihn die anderen Bewohner in Ruhe ließen solange er vor sich hin murmelnd über die Reihen und Spalten gebeugt saß - und das war ihm nur Recht. Ihr belangloses Geschwätz, die immergleichen Krankengeschichten und Schicksale waren ihm herzlich egal. Bis zum Mittag wollte er seinen Gedanken ungestört nachhängen. Kreuzworträtzel waren in dieser Umgebung das geeignetste Mittel dazu.
Die Heimleitung begrüßte sein Engagement geistig rege zu bleiben, wie sie es nannten. Er verachtete ihre Ignoranz und das gehuechelte Mitleid. Er wußte gut genug, dass das überforderte, unterbezahlte und demotivierte Klinikpersonal froh um jeden war, der es nicht mit seinen Gebrechen und Ansprüchen behelligte.
Sie wußten so gut wie er, dass er auch die Vormittage lieber auf seinem Zimmer verbracht hätte, wo er den Nachmittag und Abend mit Lesen und schreiben verbrachte. Der ritualisierte Reinigungsplan des Heims stand dem entgegen und so fand er sich eines Morgens Elisabeth gegenüber, die sich wortlos an seinem Tisch niedergelassen hatte.
Mit einem Schnauben bekundete er seinen Unmut. Dann versank er wieder in seinen Rätseln. Sie blieb schweigend sitzen, musterte abwechselnd ihn, das geschäftige Treiben im Aufenthaltsraum und die kürzer werdenden Schatten im Garten.
Am dritten Tag sprach sie ihn an. Ob sie den übrigen Teil der Zeitung haben könne. Nickend, ohne aufzublicken, schob er ihr den Stapel Papier hin. Schnell entwickelte sich ein Ritual und so saßen Sie sich bereits in der dritten Woche gegenüber als er das ersten mal auf ihren Morgengruß reagierte. Ein knappes "Morgen" war alles, was er zustande brachte.
Ein Lächenln huschte über ihr Gesicht bevor sich sich ihrem Teil der Zeitung widmete.Kurz vor dem Mittagessen sah sie erneut auf."Gehen sie eigentlich auch gerne spazieren", fragte sie plötzlich.
Hastig steckte er seinen Kugelschreiber in die Brusttasche, packte die Rätsel zusammen und ging ohne Antwort.
Auf seinem Zimmer angekommen lehnte er sich schwer atmend gegen die Türe.

Er ging in das kleine Badezimmer seines Appartements und ließ das Waschbecken vollaufen. Kaltes Wasser im Gesicht half ihm dabei, den Gedankensturm unter Kontrolle zu bekommen. Warum hatte er derart panisch auf diese simple Frage nach einem Spaziergang reagiert. Er erinnerte sich zurück an die Zeit in der Ruth und er lange Spaziergänge an der Ostsee gemacht hatten. Damals, lange bevor die Krankheit sie erst an den Rollstuhl, später dann ans Bett gefesselt hatte. Sie hatte es geliebt, stundenlang den Strand entlangzugehen. Die Schuhe lose in der einen Hand während sie mit der anderen ihr vom Wind zerzaustes Haar zurückstrich.

Die Erinnerung nahm ihm erneut den Atem. Trotzdem, Ruths Tod war mittlerweile drei Jahre her. Er hatte gehofft besser damit klar zu kommen. Sich abzuschotten hatte ihm dabei geholfen, sich frei und ohne Erwartungen anderer zu bewegen. Seine Trauer hatte er nie geteilt. Die zahllosen Lamentos anderer Bewohner hatte er stets als Schwäche ausgelegt.
Elisabeths Auftauchen (ihren Namen hatte er über ein zufällig mitgehörtes Gespräch des Heimleiters mit der neuen Psychologin erfahren) hatte sein inneres Exil ins Wanken gebracht.
Insgeheim fühlte er sich geschmeichelt. Ihre distanziert beharrliche Art war ihm sympathisch geworden. Dennoch war ihre Frage ein Schock gewesen. Das musste sie gewusst – zumindest erahnt haben – als sie ihn derart aus der Reserve gelockt hatte. Ein Wechsel ihrer Taktik, wie er nun bewundernd anerkannte.
Er trocknete die letzten Tropfen auf seinem Gesicht, nahm ein frisches Hemd aus dem Schrank, betrachtete sich kurz im Spiegel und verließ das Zimmer zu seinem ersten Spaziergang seit einer Ewigkeit.

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Freitag, 5. Mai 2006
Nachts
Auch ihr regelmäßiges Atmen neben ihm konnte ihn nicht beruhigen. Er war mitten in der Nacht aufgewacht. Einen stummen Schrei auf den Lippen. Irgendwo glimmte der Digitalwecker. Seit einer Stunde lag er nun regungslos im Dunkeln und wartete daruaf, dass sein Herzschlag sich beruhigte, seine Gedanken sich ordneten. Vergeblich. Er hatte sich zu viel zugemutet und diese Nacht würde er den Preis dafür bezahlen.

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Dienstag, 25. April 2006
Raus
Die Raststätte kam gerade noch rechtzeitig. Seit sechs Stunden war er jtzt unterwegs. Noch eine Stunde und er würde Deutschland verlassen, dan nochmal vier Stunden und er würde am Meer sein.
Zwei Mal schon hatte die Müdigkeit ihm fast das Steuer aus der Hand genommen. Schaudernd genosse er jedes Mal das Adrinalin, das ihn für ein paar minuten in zitternde Klarheit katapultierte.
Er zog auf die rechte Spur, nahm den Fuß vom Gas und steuerte den Parkplatz hinter der Tankstelle an.Als die kalte Luft der Nacht durch die geöffnete Tür zog, spürte er das gesamte Ausmaß seiner Müdigkeit. Seine Zähne klapperten, seine Beine schmerzten.
Er ging auf das Licht der Raststätte zu.

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Samstag, 25. März 2006
Hannes
Wir haben selten mit ihm gespielt. Nein. Eigentlich kann ich mich nicht daran erinnern, je mit ihm gespielt zu haben.
Es war ein Dorf. Kaum tausend Seelen, die meisten davon tiefschwarz. Wer dazu gehören wollte, mußte sich anpassen. Wir waren etwas mehr als 50 Kinder im Grundschulalter. Er war keiner von uns.
Es war so verdammt offensichtlich. Seine Familie war eine der ärmsten im Ort, Bei ainem Brand war seine Mutter umgekommen. Seine Narben sahen wir beim Umkleiden vor dem Sportunterricht. Er war nicht stark. Um unser mitleid zu erregen hatte er zu wenig Stolz im Leib und so warteten wir gespannt, wann das Faß überlaufen würde. Kinder sind grausam. Dann wechselte ich an die Schule in der Stadt, später zogen wir um. Wir haben uns nie wieder gesehen. Irgendwann aber wir er vor mir stehen. Ich werde ihn nicht erkennen. Dann wird er den Spieß umdrehen.

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