Küchenfensterblick
Donnerstag, 6. April 2006
Wellen
Erst fragten sie ihn noch. Was so spannend daran sein. Welchen Sinn es habe, wollten sie wissen. Er hörte sich die Fragen an, blieb sitzen und zeigte auf das Meer. Deutete auf die Wellen, die stetig an den steinigen Strand rollten.
Die meisten schüttelten den Kopf, einige nannten ihn verrückt. Manche beschimpften ihn. Seine Ruhe war ihnen lästig, seine Stille eine Anklage.
Wenige setzten sich zu ihm, verharrten einen Moment, eine Zigarrete lang.
Gerüchte machten die Runde im kleinen Dorf hinter den Dünen. Ein ehemaliger Manager sei er. Einer, der nach einem letzten großen Deal aus dem Haifischbecken gestiegen sei, sich an den Strand gerette habe. Andere wollten von Gefängnisaufenthalten irgendwo in Asien gehört haben - auf Nachfragen wurden sie ausweichend.
Als man ihn schließlich fand, die Flut hatte seinen Körper zwei Kilometer westlich angespült waren sie kaum überrascht. "Er hat auf seine Welle gewartet", sagten die einen, die anderen meinten nur, dass ein Fisch an Land nicht atmen kann.

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Dienstag, 4. April 2006
Schlaflose Tage
Diesmal nichts selbst geschriebenes. Stattdessen ein paar Zeilen Begeisterung zu Jurek Becker.
Ich habe in den vergangenen Tagen "Schlaflose Tage" von ihm gelesen und habe es geradezu verschlungen. Ich muss dazu sagen, dass meine Erfahrungen mit der DDR rein theoretischer Natur sind. Als die Mauer fiel, war mir das ziemlich egal, da zu diesem Zeitpunkt gerade ein paar Schranken das andere Geschlecht betreffend bei mir fielen und das für mich persönlich deutlich spannender war.
Später dann habe ich "Amanda herzlos" gelesen und fand es ziemlich gut. Irgendwann ging mir auf, dass Jurek Becker für "Liebling Kreuzberg" verantwortlich war. "Jakob der Lügner" habe ich bis heute nicht gelesen, werde das beizeiten jedoch nachholen.
Interessanter fand ich jedoch schon seit längerem, die Dinge die man von der Privatperson Becker mitbekam. Sei es durch den wirklich tollen und herzzerreisenden Postkartenband an seinen Sohn Johnny oder aus diversen Interviews mit Manfred Krug oder seiner (Beckers) Witwe.
Bei "Schlaflose Tage" vermischte sich meine Grundsympathie gegenüber dem Autor mit einer hohen Identifikation mit den Problemen des Protagonisten. Ein Lehrer, der sein Leben von Grund auf ändern will. (Nicht das ich Lehrer wäre ...)
Aus einer nicht näher definierten oder erklärten Unzufriedenheit heraus fängt er damit an. Eine Sinnsuche beginnt, die sehr konsequent durchgezogen wird, dabei jedoch immer etwas naives behält. Auch wenn das Buch politisch ist und sich auf das System DDR bezieht, konnte ich sehr vieles aus der heutigen gesellschaftlichen Realität darin wiederfinden. Erzählt in einer einfachen aber nie schlichten Sprache. Voller Wärme und Witz, scharfsinnig aber ohne Bitterkeit.
Ich werde mir Zeit lassen bevor ich das nächste Buch von Jurek Becker anfange, denn es gibt nicht viele Alternativen in der deutschen Literaturlandschaft der vergangenen paar Jahrzehnte. So sehr ich Fauser, Brinkmann und andere schätze, die Wärme und Menschlichkeit bei gleichzeitiger Kritik am Bestehenden fehlt mir bei ihnen.

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Samstag, 1. April 2006
Manchmal scheint es ganz leicht
"Weißt Du", sagte er, "manchmal scheint es ganz leicht. Einfach aufstehen, Sachen packen und gehen. Ohne zurückzublicken, ohne Reue."

Sie nickte.

"Es ist schließlich nur ein Job. Etwas, um Geld zu verdienen. Das ist es doch, oder?"

Sie sah ihn an und wartete bis er fortfuhr.

"Ich meine, ich weiß, dass es mir egal sein müßte. Daß es die Unruhe nicht wert ist oder die Nächte, in denen ich schweißgebadet aufwache. Irgendwann, ich kann mich nicht mehr an einen bestimmten Zeitpunkt erinnern, irgendwann also habe ich angefangen, mich damit zu identifizieren. Ganz schleichend wurden mir die Dinge die ich da tat wichtig. Schließlich will man doch nichts machen, woran man nicht glauben kann. Verstehst du?
Ich meine, siehe Dich an. Du glaubst an das was Du tust, oder?
Jedenfalls, irgendwann war es mir wichtig geworden. Verstehst Du? Es war wichtig GEWORDEN. Einfach so. Weil das System so arbeitet.
Erst ist dir völlig klar, dass es nur ein Job ist. Etwas, um Geld zu verdienen. Und, damit du dieses Geld bekommst, schreibst du Geschichten. Denkst Du vielleicht, es wäre leicht, Geschichten zu erzählen, die man selbst nicht erlebt hat? An die man vielleicht nicht einmal selbst glaubt? Nein! Es ist in Job. Andere bezahlen Dich dafür."

Es viel ihm zunehmend schwerer, die Fassung zu waren. Leise sprach er weiter.

"Erst ist es ganz leicht, verstehst Du? Die Geschichten, sie sind in dir drin und wollen raus. Es ist so einfach, am Anfang. Also schreibst du deine Geschichten und dann, eines Tages, fällt dir auf, dass sie nicht wahr sind. Nicht wahrhaftig sollte ich sagen, denn erfunden sind sie alle. Erst sind es nur ein paar, aber plötzlich alle. Also zweifelst du. Aber sie geben dir Geld dafür. Weil, jetzt bist du ein Profi. Und du nimmst das Geld und haßt sie dafür. Also fragst du nach mehr Geld, weil du glaubst, dass es sie schmerzt. Stattdessen lächeln sie und geben es dir. Denn jetzt haben sie dich genau da, wo sie dich haben wollen."

Er verstummte.
Die letzten Sätze waren immer schneller aus ihm herausgehetzt. Er entkrampfte seine Hände, die er unbewußt zu Fäusten geballt hatte und sah sie an.
Sie hatte sich ans Fenster gestellt und den Verkehr sehr viel weiter unten im Blick gehabt.
Sie drehte sich um und öffnete den Mund.

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Mittwoch, 29. März 2006
Kurze Pause
Die Kinder: krank
Die Frau: gestresst
Die Kunden: unbeeindruckt
Der Autor: am Limit

Am Wochenende geht es wieder

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Montag, 27. März 2006
Nicht mehr kalt
Plötzlich war ihm nicht mehr kalt. Er saß im Schnee - ein paar Flocken tauten auf seinem Nacken - und sah sie an.
Vier Tage ging das nun schon. Immer wieder begegneten sie sich. Von Zufall konnte keine Rede mehr sein, der Ort war klein. Und doch, verabredet hatten sie sich nie.
Dass da mehr war, hatten beide schnell gemerkt.
Sie hatte erzählt von sich. Ihren Plänen, der Kleinstadt in Bayern, die ihr so viel bedeutete. Er hatte zugehört und sich gewundert über dieses wunderschöne Mädchen. Die Klarheit ihrer Worte, die Dringlichkeit ihrer Gedanken, die Unbedingheit ihrer Ansprüche an ein Leben, das er für sich schon fast nicht mehr reklamierte.
So fing er an, von sich zu reden. Von den Freunden, der Familie, der Vertrautheit, den Ängsten. Als er von den Träumen sprach, lachte sie und sagte: "Ein Traum ist kein Traum, sondern ein Plan!" Aus ihrem Mund klang es wahr. Er wollte, dass es wahr ist.
Jetzt saß er im Schnee und sah sie an. Sie hatten sich geküßt. Zum ersten Mal.
Plötzlich war ihm nicht mehr kalt.

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