Küchenfensterblick
Mittwoch, 22. August 2007
SommerSonja
Was bleibt von diesem Sommer der schon über zehn Jahre her ist, ist die intensive Erinnerung an ein paar Wochen vollkommener Freiheit und an Sonja.
Ich hatte einen Job der ausreichte, um mir den Kauf von CDs und Konzerttickets zu finanzieren. Für ein paar Bier reichte es auch und mein Studium nahm ich nicht wirklich ernst. Es war der Sommer nach einer langen Beziehung, der Sommer vor der nächsten und der Sommer in dem ich Sonja traf.
Sie war alles was ich sein wollte und in dieser Konsequenz nie war. Sie war wild, sie war direkt und sie war schön. Mein Nachbar pfiff ihr einmal auf der Strasse hinterher, bis er mich neben ihr erkannte und ihm fast die zigarette aus dem Mund fiel. Ich fühlte mich großartig, keine Frage.
Sie kannte die Punks und die Raver, sie war überall zugleich und immer willkommen. Sie nahm mich mit durch Clubs, Bars und Wohnungen. In dieser eigentlich so langweiligen Stadt lernte ich in kürzester Zeit Menschen kennen, vor denen Eltern warnen und über die Zeitschriften Artikel schreiben. Wir hörten Musik, wir tanzten, wir tauschten Bücher, lagen im Gras und sahen dem Rhein zu wie er an uns vorüberzog.
Es war ein Tanz um unsere Gefühle, denn wir wussten jederzeit, dass wir nicht füreinander gemacht waren und wir trotzdem aufpassen mussten.
Sie war eine Betty Blue, ein Wildpferd das nicht gezämt werden kann. Ich schlug die Drogen aus die sie mir anbot und ich hielt Distanz wenn es zu schräg wurde. Ich liess mich nachts aus dem Bett klingeln und machte Tee, um ihren Erzählungen lauschen zu können.
Dann geschah etwas womit ich nicht gerechnet hatte. Sie verliebte sich. In einen anderen. Es tat nicht weh. Ich war erleichtert. Ich freute mich für sie. Und doch raubte es mir eine Illusion, als sie nach wenigen Monaten in die Provinz zog, verheiratet mit einem Büromenschen.
Seit dieser Zeit sehe ich die Facetten in mir klarer. Die unterschiedlichen Bedürfnisse und Gefühlswelten.
Ich weiß noch, wie sie damals zu mir sagte, dass sie mich gerne noch kennen würde, wenn ich über 30 bin. Sie versprach sich viel von mir.
Wir kennen uns nicht mehr. Unsere Leben trudelten auseinander. Und doch frage ich mich ab und an, ob sie wohl zufrieden mit dem Menschen wäre, der ich mittlerweile bin.

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Donnerstag, 28. September 2006
Meine Provinz
Wir waren zu viert. Keiner von uns hatte eine Ahnung davon, was hinter den Grenzen dieses Dorfes auf uns wartete. Welche Welten sich auftun würden, wenn wir die Grundschule mit ihren Klassenverbänden, die nach den umliegenden Dörfern aufgeteilt waren, verlassen würden. Wir waren vier und ich war der jüngste. Der Kleinste war ich auch und doch zählte mein Wort soviel wie das der anderen. Eine Bande waren wir schon seit dem letzten Jahr im Kindergarten und wie das in ländlichen Gebieten im fränkischen so üblich ist, basierte unsere Gruppe auf dem fragilen Gleichgewicht zwischen kindlicher Gewalt und den zur Verfügung stehenden Spielzeugen.
Ich kann mich nicht mehr erinnern, wer von uns als erster von der Sache mit den Kastanien erfahren hatte. Der Förster der Region bot für jeden Zentner zehn Mark. Für die Fütterung der Rehe und all der anderen Tiere in den umliegenden Wäldern sollte die Provinzjugend gegen Bares ihren Anteil leisten. Zehn Mark pro Zentner. Klang gut. Davon ließen sich Yps-Hefte, Brause und ein paar Flaschen dieser komischen Säfte, die es in Plastikflaschen beim Metzger gab, kaufen. Zu viert waren wir Freitags nach der Schule losgezogen. Der Schlosspark war unser Jagdrevier. Nach ein paar Stunden hatten wir drei Säcke mit Kastanien gefüllt. Am Samstag kamen wir auf weitere vier . Bernd sollte sie im Schuppen seiner Eltern aufbewahren und dann wollten wir zum Förster sobald ich am Sonntag aus der Kirche zurück wäre.
Als Katholiken in dieser protestantischen Enklave hatten meine Eltern beschlossen, zumindest bis zu meiner Firmung, das sonntägliche Programm durchzuziehen. Später sollte ich dann selbst entscheiden, ob ich diesem Verein auch weiterhin angehören wollte.
Schon immer hatte ich mich in Kirchen unwohl gefühlt. An jenem Tag war das Bedürfnis der beklemmenden Weite des Kirchenschiffs zu entkommen besonders groß. Ich brannte darauf, die Früchte unserer Arbeit einzufahren. Immer wieder hatten die anderen mich durch die engen Lücken im Gebüsch des Parks gescheucht, um zwischen feuchtem Laub und modrigen Ästen nach Kastanien zu suchen. Ewig hatte ich am Vorabend in der Badewanne gebraucht, um die Spuren, die Gerüche dieser Expeditionen abzuwaschen. Mein Kumpel Thomas hatte sich während einer dieser Kriechtouren das Hemd beschmiert und in Erwartung einer Tracht Prügel war er mit hängendem Kopf nach Hause getrottet.
Ich spürte den Geschmack der Brause förmlich auf der Zunge als ich mir beim Pfarrer die Hostie abholte. Endlich, die Erlösung. Von der Kirche bis zu Bernds Schuppen waren es knapp zehn Minuten mit dem Fahrrad. Ich schaffte es in acht und machte mich auf die Suche nach den anderen. Entdecken konnte ich nur Thomas, der heulend neben seinem Fahrrad saß. Wo gestern noch die Säcke lagen hatten Bernd und sein Bruder ein paar leere Brausepäckchen liegen lassen.
Seit diesen Tagen betrachte ich Freundschaften unter Männern mit einer Spur mehr Zweifel und in Kirchen überkommt mich jedes Mal das Gefühl, dass sich da draußen irgendjemand über mich lustig macht während er in seiner Zeitschrift blättert und einen tiefen Schluck aus seiner Flasche nimmt.

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Dienstag, 20. Juni 2006
Jetzt ist sie ein Popstar
Sie haben ihr Alter geändert, die Menschen von der Plattenfirma. Vielleicht war es auch ihre Idee, wer weiß. Damals waren wir ungefähr gleich alt und unzufrieden mit unseren Leben. Das Schweißt zusammen. Das Bedürfnis, etwas Besonderes zu sein. So schrieb ich und sie sang und spielte und für ein paar Monate war es fast wahr. Ich schrieb meine Gedichte, manche sang sie zur Gitarre. Wir gingen zu Blumfeld und Sonic Youth. Wir waren jung, unsicher, bulemisch und auf der Suche. Irgendwann noch während es so ging traf ich dann eine und die Suche war vorbei. Es dauert immer eine Weile in solchen Dingen, bis man es merkt. So ist das jedenfalls bei mir. Ich ging. Sie suchte weiter.
Dem schreiben bin ich treu geblieben, es ist Teil meines Jobs und dann ist da noch dieser Blog und ein paar Texte nebenher. Trotzdem, der Antrieb ist weniger geworden. Der Drang sich zu produzieren, das Feuer, es hat sich verlagert und das ist gut so.
Bei ihr kam es anders. Sie hat eine Platte aufgenommen. Eine Single veröffentlicht. Seit kurzem wird sie im Radio gespielt. Ein zweites Album soll kommen und ich freue mich für sie. Sie hat hart dafür gearbeitet. Sich gequält. Rebelliert für diesen Lounge-Pop wie man es nicht für möglich halten würde. Gegen einen Vater der mit seiner Prominenz einen langen Schatten warf, gegen ihre Potenziale, ihr Jura-Studium, den vorgezeichneten Weg als Vorzeige-Tochter.
Ich mag die Musik die sie macht nicht besonders. Zu leicht, zu flockig, zu gefällig für meinen Geschmack. Aber das spielt keine Rolle, denn mir dämmert so langsam wieviel harte Arbeit dahinter steckt und dafür gebührt ihr mein Respekt.

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