Küchenfensterblick
Donnerstag, 23. März 2006
Die Jacke
Noch immer hielt sie die Jacke wie eine ansteckende Krankheit mit ausgestreckten Armen in den Händen.

"Was Du Dir dabei gedacht hast will ich wissen!"

Es war schon keine Frage mehr, denn dass er sich nichts dabei gedacht hatte, war ihr mittlerweile klar. Gerade das machte sie so wütend. Wenn er jetzt damit begann die Konsequenzen seines Handelns nicht mehr zu bedenken, wo sollte das hinführen?

"Es war ein Angebot", stammelte er. "Da dachte ich eben ..."
"Ach, jetzt hast Du also doch gedacht? Jetzt wird es spannend!"
"Ich hatte eben gedacht, dass wir ja diesen Ausflug in die Berge machen wollen. Und da brauchen wir ja noch die passenden Jacken. Na, da habe ich dann eben gleich eine für Dich mitgekauft."

Er war wieder im Spiel. Was regte sie sich eigentlich so auf?

"Mein Gott! Du willst doch wohl nicht wirklich, dass wir beide im verdammten Partnerlook durchs Gebirge ziehen wie ein bescheuertes altes Ehepaar." "Und was wäre daran so schlimm?"

Sie merkte, dass sie ihre Wut nicht mehr lange durchhalten würde. Wie er da stand in seiner roten Jacke. Sie seufzte.

"Nichts, ich war einfach nur so stolz darauf, dass wir es über dreißig Jahre mitteinander ausgehalten haben, ohne die gleichen Jacken zu tragen."

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Dienstag, 21. März 2006
Ende einer Feier
Bei einer letzten Zigarette fragte Sebald sie dann nach ihren Wünschen. Betriebsfeiern waren noch nie ihre Sach gewesen. Nicht zuletzt, weil sie jedes Mal aufs Neue den Zeitpunkt verpasste, an dem ihr Gehen in jeder Beziehung selbstverständlich geirkt hätte. Stattdessen ließ sie sich nachschenken, blickte erst den mediokren Dornfelder im Glas und dann Sebald an. Seine Augen hatten bereits den trüben Glanz zuvieler Gläser, zuvieler Zigaretten und der nagenden Gewissheit, auch diese Nacht in seinen ungewaschenen Laken zu verbringen. "Wünsche?", fragte sie Sebald, "Sind sie darauf vorbereitet?" Jetzt hatte sie seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Sein Adamsapfel zuckte kurz, er rückte seine Brille zurecht und näher an sie heran.
Zwei Minuten später machte sie sich auf den Weg nach Hause.
Sebald blieb zurück. Seine Zigarette hatte ihm einen Finger verbrannt und er versuchte, seinen Blick zu fokusieren. Langsam ging er auf die Knie und fing an zu beten.

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Here comes Richard
Als sich die Tür langsam hinter Richard schloss spürte er die Last der letzten Tage von sich abfallen. Der Raum war spärlich eingerichtet. Ein Kühlschrank, zwei Stühle an einem Tisch auf dem ein Stapel Papier lag. Er nahm sich ein Glas aus einer einfachen Kommode, füllte es mit kaltem Leitungswasser, trank und sah sich um. Keine Bilder an den Wänden und ein Fenster ohne Aussicht. Auch der Nebenraum war nur mit dem nötigsten eingerichtet. Hier würde er die kommenden Wochen ungestört an seinen Plänen arbeiten können. Er war weit gefahren, um dem Lärm der Großstadt, dem Termindruck, dem Klingeln seines Mobiltelefons und den immer gleichen Gedanken zu entkommen. Jetzt war es an der Zeit, all die verworfenen Ideen der vergangenen Jahre zu Papier zu bringen und mit dem zu beginnen, was er sich als Aufgabe gesetzt hatte. Richard nahm Platz und fing an, seinen Weltenplan zu schreiben.

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