Küchenfensterblick
Mittwoch, 25. Oktober 2006
Zivilcourage
Er lehnte sich an die Plakatwand. Seltsam, dachte er, so ein Schlag ins Gesicht. Er hatte ganz vergessen wie es sich anfühlt - geschlagen werden. Fast vierzig Jahre war das jetzt her. Seltsam, dass sich diese Mischung aus Scham, Angst und Wut noch immer so anfühlt wie damals.
Wie unverschämt die Jungs gewesen waren. Wie laut und dreist. Als er sah, wie sie die junge Frau einfach angrapschten hatte er sich geschämt dafür, auch ein Mann zu sein. Wie sie aufdringlich wurden, die anderen Fahrgäste anpöbelten.
Er hatte versucht, sich zu erinnern, wie er mit 16 war. Halbstark, hieß das damals. Nein, rebellieren sieht anders aus.
Er hatte gedacht, dass es die Jugendlichen einschüchtern würde, wenn ein gestandener Mann wie er mit ihnen redete. Dass sie Respekt zeigen würden, wie das seine Kinder noch immer tun. Auch wenn sie jetzt ausgezogen waren, ihr eigenes Leben führten.
Er vermisste sie. Ihr Lachen im Haus, die Unordnung und das Chaos...
Geschlagen hatten sie ihn. Wie einen lästigen Hund, der ihnen am Hosenbein zerrt. Er war zurückgetaumelt und hatte sich gerade noch halten können. Das war der Moment an dem endlich auch die anderen aufstanden, sich hinter ihn stellten.
Es ekelte ihn an, sie hinter sich zu spüren. Jetzt, wo durch die offensichtliche Gewalt für all die anderen eine Grenze erreicht war, die die Jungs für ihn schon lange überschritten hatten.
Er spürte den Schlag. Seine Sicht wurde trübe, ihm fröstelte. An der nächsten Station stieg er aus. Die Situation noch ungeklärt dreht er allem den Rücken zu und ging.
Als die Bahn weiterfuhr lehnte er sich an die Plakatwand.
Er hatte das Richtige getan.
Ihm wurde schlecht.
Dann Dunkelheit.