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Sonntag, 26. März 2006
Gegen Ende
zeitnehmer, 16:36h
Erst hatte sie sich gefangen gefühlt. Dieser alte Körper, der sie immer mehr im Stich ließ. Sie hatte geweint, als sie den Rollstuhl zur Tür hereinbrachten. Sie hatte geflucht über ihre alten Knochen. Die Gelenke, die zu nichts mehr zu gebrauchen waren. Sie hatte sich gewehrt. Jahrelang. Vor Verbitterung war sie immer stiller geworden. Dabei hatte sie so schön gesungen. Damals. Seit sie nicht mehr tanzen konnte, war ihr die Musik grausam geworden.
In diese Stille hinein hat man ihr den Neuen geschickt. Erst war er ihr eine Zumutung. Seine mangelnde Erfahrung im Umgang mit ihrem alten Körper. Die Scham, der Schmerz. Er war geblieben. Immer ein paar Minuten länger als nötig. Hatte sich hingesetzt ans Fenster, den Vorhang leicht zugezogen, um sie nicht den Sonnenstrahlen auszusetzen.
Nach ein paar Tagen brachte er Papier.
„Sollen wir anfagen?“
Und mit jedem Wort ließ ihr Schmerz nach.
In diese Stille hinein hat man ihr den Neuen geschickt. Erst war er ihr eine Zumutung. Seine mangelnde Erfahrung im Umgang mit ihrem alten Körper. Die Scham, der Schmerz. Er war geblieben. Immer ein paar Minuten länger als nötig. Hatte sich hingesetzt ans Fenster, den Vorhang leicht zugezogen, um sie nicht den Sonnenstrahlen auszusetzen.
Nach ein paar Tagen brachte er Papier.
„Sollen wir anfagen?“
Und mit jedem Wort ließ ihr Schmerz nach.
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Samstag, 25. März 2006
Hannes
zeitnehmer, 16:25h
Wir haben selten mit ihm gespielt. Nein. Eigentlich kann ich mich nicht daran erinnern, je mit ihm gespielt zu haben.
Es war ein Dorf. Kaum tausend Seelen, die meisten davon tiefschwarz. Wer dazu gehören wollte, mußte sich anpassen. Wir waren etwas mehr als 50 Kinder im Grundschulalter. Er war keiner von uns.
Es war so verdammt offensichtlich. Seine Familie war eine der ärmsten im Ort, Bei ainem Brand war seine Mutter umgekommen. Seine Narben sahen wir beim Umkleiden vor dem Sportunterricht. Er war nicht stark. Um unser mitleid zu erregen hatte er zu wenig Stolz im Leib und so warteten wir gespannt, wann das Faß überlaufen würde. Kinder sind grausam. Dann wechselte ich an die Schule in der Stadt, später zogen wir um. Wir haben uns nie wieder gesehen. Irgendwann aber wir er vor mir stehen. Ich werde ihn nicht erkennen. Dann wird er den Spieß umdrehen.
Es war ein Dorf. Kaum tausend Seelen, die meisten davon tiefschwarz. Wer dazu gehören wollte, mußte sich anpassen. Wir waren etwas mehr als 50 Kinder im Grundschulalter. Er war keiner von uns.
Es war so verdammt offensichtlich. Seine Familie war eine der ärmsten im Ort, Bei ainem Brand war seine Mutter umgekommen. Seine Narben sahen wir beim Umkleiden vor dem Sportunterricht. Er war nicht stark. Um unser mitleid zu erregen hatte er zu wenig Stolz im Leib und so warteten wir gespannt, wann das Faß überlaufen würde. Kinder sind grausam. Dann wechselte ich an die Schule in der Stadt, später zogen wir um. Wir haben uns nie wieder gesehen. Irgendwann aber wir er vor mir stehen. Ich werde ihn nicht erkennen. Dann wird er den Spieß umdrehen.
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Freitag, 24. März 2006
Veränderungen
zeitnehmer, 22:40h
"Wie willst Du das den Kindern erklären?"
Es war spät geworden und noch immer saßen sie am Küchentisch. Die leeren Teller neben, die halbvollen Weingläser vor sich.
"Das weiß ich nicht!"
Jetzt war er doch laut geworden.
Es war spät geworden und noch immer saßen sie am Küchentisch. Die leeren Teller neben, die halbvollen Weingläser vor sich.
"Das weiß ich nicht!"
Jetzt war er doch laut geworden.
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Neustart
zeitnehmer, 13:36h
Und während sich um ihn herum die Welt in den Armen lag, hatte er dieses seltsame Gefühl im Magen.
Er war auf alles vorbereitet gewesen, auf das schlechte Buffet, auf die miserable Musik und die Einsamkeit. Silvester allein zu verbringen wäre schlimmer gesen, dachte er. Stattdessen diese alberne Mottoparty. Wer weiß, hatte er gedacht, wer weiß ob nicht doch eine nette Frau da ist. Eine, mit der man sich nicht unterhalten muss. Eine, die einfach nur neben dir sitzt, ein Glas Weißwein trinkt ohne dabei die Finger zu spreizen und Dich nach einer Zigarette fragt. Stattdessen war plötzlich seine Ex-Frau aufgetaucht. Mit ihrem zu lauten Lachen, ihren zu stark geschminkten Augen und einem Typen im Schlepptau, der das alles mit dieser unverschämten Gelassenheit ertrug, die ihm selbst immer fremd war.
Er hatte seine Jacke genommen und war raus gegangen. Auf die Strassen, dachte er, da hat man wenigstens das Gefühl, dass die Richtung stimmt. So war er dann kurz vor Mitternacht in der Innenstadt angekommen. Die Kälte machte ihm nichts mehr aus, als die Menschen aus den Restaurants und Clubs auf den Platz strömten, den er gerade noch ganz für sich allein gehabt hatte. Nie hatte er sich einsamer gefühlt als in diesem Augenblick. Umgeben von Menschen, die sich das Beste für den Neustart wünschen. Als er um sich blickte, durchströmte es ihn. Dieses Gefühl, als ob er einen Meter größer wäre und über den Dingen stehen könnte. Und während der Himmel einen kurzen Augenblick ganz dunkel wurde, fühlte er sich das erstemal seit Jahren frei.
Er war auf alles vorbereitet gewesen, auf das schlechte Buffet, auf die miserable Musik und die Einsamkeit. Silvester allein zu verbringen wäre schlimmer gesen, dachte er. Stattdessen diese alberne Mottoparty. Wer weiß, hatte er gedacht, wer weiß ob nicht doch eine nette Frau da ist. Eine, mit der man sich nicht unterhalten muss. Eine, die einfach nur neben dir sitzt, ein Glas Weißwein trinkt ohne dabei die Finger zu spreizen und Dich nach einer Zigarette fragt. Stattdessen war plötzlich seine Ex-Frau aufgetaucht. Mit ihrem zu lauten Lachen, ihren zu stark geschminkten Augen und einem Typen im Schlepptau, der das alles mit dieser unverschämten Gelassenheit ertrug, die ihm selbst immer fremd war.
Er hatte seine Jacke genommen und war raus gegangen. Auf die Strassen, dachte er, da hat man wenigstens das Gefühl, dass die Richtung stimmt. So war er dann kurz vor Mitternacht in der Innenstadt angekommen. Die Kälte machte ihm nichts mehr aus, als die Menschen aus den Restaurants und Clubs auf den Platz strömten, den er gerade noch ganz für sich allein gehabt hatte. Nie hatte er sich einsamer gefühlt als in diesem Augenblick. Umgeben von Menschen, die sich das Beste für den Neustart wünschen. Als er um sich blickte, durchströmte es ihn. Dieses Gefühl, als ob er einen Meter größer wäre und über den Dingen stehen könnte. Und während der Himmel einen kurzen Augenblick ganz dunkel wurde, fühlte er sich das erstemal seit Jahren frei.
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Donnerstag, 23. März 2006
Die Jacke
zeitnehmer, 21:39h
Noch immer hielt sie die Jacke wie eine ansteckende Krankheit mit ausgestreckten Armen in den Händen.
"Was Du Dir dabei gedacht hast will ich wissen!"
Es war schon keine Frage mehr, denn dass er sich nichts dabei gedacht hatte, war ihr mittlerweile klar. Gerade das machte sie so wütend. Wenn er jetzt damit begann die Konsequenzen seines Handelns nicht mehr zu bedenken, wo sollte das hinführen?
"Es war ein Angebot", stammelte er. "Da dachte ich eben ..."
"Ach, jetzt hast Du also doch gedacht? Jetzt wird es spannend!"
"Ich hatte eben gedacht, dass wir ja diesen Ausflug in die Berge machen wollen. Und da brauchen wir ja noch die passenden Jacken. Na, da habe ich dann eben gleich eine für Dich mitgekauft."
Er war wieder im Spiel. Was regte sie sich eigentlich so auf?
"Mein Gott! Du willst doch wohl nicht wirklich, dass wir beide im verdammten Partnerlook durchs Gebirge ziehen wie ein bescheuertes altes Ehepaar." "Und was wäre daran so schlimm?"
Sie merkte, dass sie ihre Wut nicht mehr lange durchhalten würde. Wie er da stand in seiner roten Jacke. Sie seufzte.
"Nichts, ich war einfach nur so stolz darauf, dass wir es über dreißig Jahre mitteinander ausgehalten haben, ohne die gleichen Jacken zu tragen."
"Was Du Dir dabei gedacht hast will ich wissen!"
Es war schon keine Frage mehr, denn dass er sich nichts dabei gedacht hatte, war ihr mittlerweile klar. Gerade das machte sie so wütend. Wenn er jetzt damit begann die Konsequenzen seines Handelns nicht mehr zu bedenken, wo sollte das hinführen?
"Es war ein Angebot", stammelte er. "Da dachte ich eben ..."
"Ach, jetzt hast Du also doch gedacht? Jetzt wird es spannend!"
"Ich hatte eben gedacht, dass wir ja diesen Ausflug in die Berge machen wollen. Und da brauchen wir ja noch die passenden Jacken. Na, da habe ich dann eben gleich eine für Dich mitgekauft."
Er war wieder im Spiel. Was regte sie sich eigentlich so auf?
"Mein Gott! Du willst doch wohl nicht wirklich, dass wir beide im verdammten Partnerlook durchs Gebirge ziehen wie ein bescheuertes altes Ehepaar." "Und was wäre daran so schlimm?"
Sie merkte, dass sie ihre Wut nicht mehr lange durchhalten würde. Wie er da stand in seiner roten Jacke. Sie seufzte.
"Nichts, ich war einfach nur so stolz darauf, dass wir es über dreißig Jahre mitteinander ausgehalten haben, ohne die gleichen Jacken zu tragen."
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Mittwoch, 22. März 2006
Weitermachen
zeitnehmer, 10:55h
"Geht es wieder?"
Der Mann lehnte gegen die plakatierte Wand der U-Bahn-Station und das Zittern in seinen Fingern ließ langsam nach.
"Sollen wir Hilfe rufen?"
Er spürte den kalten Schweiß, der ihm den Nacken hinunterlief. Sein Hemd klebte unter den Armen und auf der Brust. Das und ein leises Rauschen in den Ohren waren die letzten Hinweise auf seinen Zusammenbruch. "Wasser", sagte er. Jemand lief los. Mit geschlossenen Augen saß er, ganz auf den Rythmus seines Herzschlags konzentriert. War es das wert? Kein Schlaf, unzufriedene Regisseure, schlechte Bezahlung, nur um wie ein dirilierender Alkoholiker im Endstadium sabbernd in der U-Bahn zusammenzubrechen? Das Wasser kam und er trank es in langsamen, kleinen Schlucken. er spürte, wie sich sein Puls beruhigte, Energie in seinen Körper zurück floß. Prickeln in den Fingerspitzen, an den Haarwurzeln. Klarheit, Zufriedenheit, ein tiefer Atemzug. Nach und nach spannte er seine Muskeln an. Nur ein vorübergehender Stillstand, eine kurze Unterbrechung im Programm. Er öffnete die Lider und blickte dem Mann, der vor ihm kauerte in die Augen. Sah, wie sich die Besorgnis im Blick in Erstaunen wandelte, als er in ruhigen, kontrollierten Bewegungen aufstand. "Es ist gut," sagte er, "es geht wieder."
Der Mann lehnte gegen die plakatierte Wand der U-Bahn-Station und das Zittern in seinen Fingern ließ langsam nach.
"Sollen wir Hilfe rufen?"
Er spürte den kalten Schweiß, der ihm den Nacken hinunterlief. Sein Hemd klebte unter den Armen und auf der Brust. Das und ein leises Rauschen in den Ohren waren die letzten Hinweise auf seinen Zusammenbruch. "Wasser", sagte er. Jemand lief los. Mit geschlossenen Augen saß er, ganz auf den Rythmus seines Herzschlags konzentriert. War es das wert? Kein Schlaf, unzufriedene Regisseure, schlechte Bezahlung, nur um wie ein dirilierender Alkoholiker im Endstadium sabbernd in der U-Bahn zusammenzubrechen? Das Wasser kam und er trank es in langsamen, kleinen Schlucken. er spürte, wie sich sein Puls beruhigte, Energie in seinen Körper zurück floß. Prickeln in den Fingerspitzen, an den Haarwurzeln. Klarheit, Zufriedenheit, ein tiefer Atemzug. Nach und nach spannte er seine Muskeln an. Nur ein vorübergehender Stillstand, eine kurze Unterbrechung im Programm. Er öffnete die Lider und blickte dem Mann, der vor ihm kauerte in die Augen. Sah, wie sich die Besorgnis im Blick in Erstaunen wandelte, als er in ruhigen, kontrollierten Bewegungen aufstand. "Es ist gut," sagte er, "es geht wieder."
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